Die komplexe neue Welt der Biologie

Das 20. Jahrhundert hat uns Mobilität, Internet und moderne Hochleistungsrechner gebracht die das menschliche Leben stark verändert haben. Wir sind heute vernetzter denn je, jede Information kann uns in wenigen Sekunden erreichen und viel Wissen was vorher nie einen Raum zur Interaktion hatte, hat durch das Internet nun diese Möglichkeit. In den naturwissenschaftlichen Disziplinen ist dies teilweise auch im Jahre 2016 noch nicht gänzlich angekommen, aber vieles hat sich bereits verändert. Protokolle und wissenschaftliche Abhandlungen sind  für Chemiker,Biologen und Mediziner  jederzeit verfügbar, was die Arbeitsplanung extrem beschleunigt. Außerdem eröffnet sich die Möglichkeit mit anderen Fachdisziplinen vernetzter zu arbeiten. So können auch andere Disziplinen wie die Informatik, Physik oder Ingenieurwissenschaften stärker assoziiert werden mit der Wissenschaft des Lebens und der Natur. Die Bioinformatik/Biophysik beispielsweise verknüpft physikalische Theorien mit biologisch komplexen Molekülen um zu berechnen wie sich ein Protein dynamisch bewegt, seine Konformation verändert oder sich unter physikalisch veränderten Bedingungen verhält. Dies kann z.B. genutzt werden um die Struktur im Nanometer Maßstab zu verändern und die Funktion von Enzymen zu modifizieren. Ein praktischer Fall wäre hierbei die Untersuchung einer Wechselwirkungen zwischen Wirkstoffen (kleine Moleküle oder Antikörper) mit Zellrezeptorproteinen von menschlichen Zellen (z.B. für Tumortherapeutika) . herz.png

Darüber hinaus kann die Funktion eines Enzymes gezielt verändert werden um eine gewünschte Reaktion zu katalysieren. Nicht nur das Proteine verändert werden können, sie können auch gänzlich per de novo Design in Silico berechnet werden um Funktionen und Strukturen zu erzeugen die so in der Natur nicht vorkommen oder noch nicht entdeckt wurden. Aber nicht nur einzelne Proteine stehen im Fokus der modernen Biologie, sondern auch gewöhnliche Mikroorganismen. Die am wenigsten komplexen unter Ihnen sind in der Regel die Bakterien. Welche in  der Biotechnologie/Biochemie eine Vielzahl an Möglichkeiten generieren um Dinge in unserer Umwelt zu messen, umzusetzen oder zu produzieren. Hierbei bietet die Natur bereits einen großen Fundus an vielen verschiedenen Organismen, die alle verschiedene unglaubliche Dinge vollführen können. So findet man die Mikroorganismen überall auf der Welt und vermutlich auch schon um unsere Welt herum (Satelliten/Raumsonden/Mondmission/ISS, etc.).  In Klärwerken sorgen sie für die Reinigung unserer Abwässer und in der Lebensmittelindustrie verfeinern sie Geschmack und Konsistenz von Käse und anderen Köstlichkeiten. So sind unzählig viele verschiedene Bakterien in unserem menschlichen Darm vorhanden und sollen gar für unsere Gesundheit verantwortlich sein.

Ein einbringen von Information in einen Mikroorganismus um neue Funktionen zu integrieren fällt unter den Begriff der molekular Genetik (Gentechnik). Zielt die Auswirkung auf den Metabolismus eines Organismus und wird dieser in größerem Ausmaß verändert wird auch von Metabolic Engineering gesprochen. Hierbei werden ganze Stoffwechselwege eingebracht, neu-verknüpft oder abgeschaltet. Diese Techniken werden zumeist kontrovers Diskutiert und stehen einer großen Kritik entgegen. Die wohl zurzeit bekannteste und heiß diskutierteste molekular Biologische Methode ist das CRISP/CasSystem, mit welchem sich noch gezielter Gene ausschalten und modifizieren lassen. Ursprünglich ein System von Bakterien zur Abwehr von viraler DNS, sehen einige Forscher  in diesem System gar eine Möglichkeit zur Gentherapie von Lebewesen. Was mit dieser Methode alles erreicht werden kann, unter anderem die Manipulation von menschlicher DNS in der Keimbahn, wird kontrovers diskutiert. Ob diese Methoden der Menschheit langfristig nutzt oder nicht, darüber lässt sich Streiten und wird sicher noch einige Forscher Generationen beschäftigen. Abgesehen von dieser Diskussion können einfache modifizierte Mikroorganismen als Sensoren in der Medizintechnik oder Sicherheitstechnik eingesetzt werden.Sie könnten Moleküle und Umweltbedingungen detektieren was  in dieser weise kein chemischer, physikalischer oder rein mechanischer Sensor messen kann. Enzymatische Sensoren (Tyrosinase) aus Pilzen können z.B. den Weichmacherbestandteil Bisphenol A detektieren.

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Bispehnol A. Steht unteranderem im Verdacht estrongenartig  zu wirken.

 

Bisphenol A steht im Verdacht Gesundheitsschädlich zu sein und kann unteranderem auch im Plastik von Trinkwasserflaschen vorhanden sein. Über die Auswirkungen gibt es unterschiedliche Studienergebnisse. Fest steht nur, wer eventuell diesen Stoff nicht in seinem Wasser haben möchte, der könnte mit einem solchem Sensor sein Trinkwasser untersuchen. Dies ist dabei nur ein Beispiel für einen möglichen Biosensor. Gut möglich, dass der Biosensor von Morgen uns gar den einen oder anderen Arztbesuch ersparen könnte.

Ein anderes, sehr viel praktischeres, Beispiel wäre z.B. die Produktion eines Farbstoffes in einem einfachen Mikroorganismus wie dem Darmbakterium Escherichia coli. Dieses Bakterium wurde in einem weltweiten studentischen Wettbewerb namens iGEM dahingehend modifiziert, dass dieser Pigmente produzierte, welche in der Folge sogar in einer sogenannten Grätzelzelle zur Stromerzeugung genutzt werden konnte. Darüber hinaus gibt es bei diesem innovativen Wettbewerb viele andere sehr aufwendige, teils witzige Projekte von Studenten an allen großen Universitäten dieser Welt (aus München kommt natürlich das Bier „der Zukunft“ oder „biologischem Druck“ aus Delft).

Das in sehr stark zeitlich limitierten Projekten von Studenten und einzelnen Forschern, teils sogar ökonomisch interessante Projekte entstehen, zeigt was im Feld der Biotechnologie möglich ist. Vieles was im letzten Jahrhundert unmöglich erschien, ist heute nicht mehr nur eine wahnwitzige Vision, sondern bereits in Teilen Realität geworden. Daten auf Festplatten zu speichern ist eine Errungenschaft gewesen, die es uns erlaubt komplexe Bilder, Lieder,Filme und Daten zu speichern, zu verwenden und wiederzugeben. Das die Speicherung von Daten einmal auf der Ebene von Molekülen wie der DNS möglich sein könnte, hätten vor einigen Jahrzehnten nur wenige gedacht.

Das Organismen als Speicher von Informationen dienen können, ist nicht nur in diesem Video gezeigt, sondern tatsächlich im Fokus einiger Forscher (hier nachzulesen). Die zunehmende Menge an Daten die Forscher auf der ganzen Welt produzieren geht in die Exabyte, Hardware basierte Archivierungssysteme könnten hierbei an ihre Grenzen stoßen, ein potentieller Lösungsansatz könnte daher die Speicherung von Daten in Form von DNS in Pflanzen sein. Eine einfache Botschaft könnte dann z.B. in DNS translatiert werden:

GACAGCAGGCTAGCTAGCTTACAAAATGAACCGCAGGCACGTATGCTTGCGCGCTTGTACGTGAACAAGTATGCATGCCAGTACGCGGGCCGGCACGCGGGCTCACAAGTGTGCCGGTACACAAGTGGGCTCGTATGCGGGTACGCGGACAAGACGGCTCGCGCGCTTGTACGCTGGCAGGTGAGCCGGCTTGCTCGCGGGCTCACAAGCCGGCTCACAAGAGAGATCGAAGAATGAACCGGGCGCCGGCGGGCTAGCGGACAAGAGTGTACGTGGGCGGGTATGTATGCGGACAAGCAGGCTCACAAGCAGGCTAGCTAGCGGACAAGCGAGCCGGCGGACAAGCGGGTATACAAGCGGGCTCGTGAGTATGCATGCCAGCTAGTGGGCGGGTATGTATGCGGGCTAGTGAACAAGCCAGCAGGCACGCGGGCTC

 

Die schöne neue Welt der Biologie oder eher Biotechnologie, könnte uns viele Neuerungen bringen und gewissenhaft eingesetzt der Menschheit nutzen, jedoch dürfen hierbei potentielle Gefahren nicht übersehen werden und ein Diskurs mit der Bevölkerung in die komplexe Thematik aufrecht erhalten werden. Wenn dem so sei, könnten vielleicht in 100 Jahren die Doktoranden ihre Forschungsergebnisse in DNS speichern, Pigmente von Mikroorganismen produziert werden um Strom zu erzeugen und viele Ressourcen Kreisläufe auf der Welt geschlossen werden um die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffquellen zu beenden. Eine sogenannte Bioökonomie  könnte daher ein Baustein sein wie unsere Welt Nachhaltiger werden könnte, so dass die Menschheit auch weiterhin auf einem grün-blauen Planeten leben kann.

Pilze als „Fabriken“ in der Synthese.

Jeder der schon mal einen Pizzateig gebacken hat,  hat schon mal auf die komplexe  „Chemie-Fabrik“ Pilz zurückgegriffen. Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae erzeugt über den anaeroben Stoffwechselweg aus dem im Pizzateig vorhandenen Kohlenhydraten die Stoffwechsel Endprodukte Kohlenstoffdioxid und Ethanol. Als Resultat lässt das erzeugte Gas den Teig aufgehen. Versuchte man auf einem unkatalysierten Weg dies zu erreichen käme dies einer teilweisen Verbrennung des Teigs mit Sauerstoff gleich. Hierfür bräuchte alleine das trockene Mehl an der Oberfläche schon eine Zündtemperatur von mehr als 340 °C.

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Pilze können mitunter kuriose Formen und Farben annehmen. (Bild Stefan Dörsam und Jana Fesseler)

Über die Hefe hinaus gibt es eine enorme Anzahl an verschiedenen Pilzen die relevant für die Synthese und Katalyse sind. Vor allem Lipasen stammen oft aus Pilzen. Eine der bekanntesten Lipasen (Candida rugosa Lipase) stammt aus der Gattung Candida (Schlauchpilze) und wird häufig in der Synthese zum Spalten oder Verestern von Wirkstoffen eingesetzt.  Ihr Vorteile entwickeln Pilze als Ganzzellkatalysatoren bei der Umwandlung von komplexen Kohlenhydraten in andere Wertstoffe. Ein bekanntestes Beispiel ist hierfür die Produktion von Zitronensäure.  Generell können Pilze auch als stereoselektive Biokatalysatoren genutzt werden, was ein enormer Vorteil im Vergleich zu vielen chemischen Katalysatoren sein kann.   Ein weiteres Beispiel für die Bedeutung der Pilze in der Biokatalyse ist  die Umsetzung von Glucose zur Äpfelsäure durch die Fermentation mit Aspergillus oryzaeIm verborgenen wandelt dieser Pilz unter Stickstoffmangel in einer Vielzahl von sequenziell angeordneten enzymatischen Reaktionen die Glucose in Äpfelsäure (Anion Malat) um. Würde man Malat rein enzymatisch oder chemisch aus Glucose gewinnen wollen, würde dies einen sehr großen Aufwand bedeuten, da viele Katalysatoren/Enzyme benötigt würden um letztendlich Malat zu erzeugen. Die Produktion von Malat und anderen organischen Säuren ist auch Gegenstand der Forschung von Dr. Ing- Ochsenreither et al. in der Technischen Biologie (TeBi) am KIT.  Neben der Evaluierung der Möglichkeiten der Pilz katalysierten Produktion von organischen Säuren rückt hierbei die Nachhaltigkeit in den Vordergrund. So sind neben der Glucose andere nachhaltige Kohlenstoffquellen zur Produktion von Interesse, die z.B. aus Aufschlüssen aus Holz oder Stroh gewonnen werden.

Die Ganzzellbiotransformationen von Pilzen oder anderen Mikroorganismen erfolgen in der Regel in sogenannten Bioreaktoren in Medium.  Dabei unterscheiden sich diese Reaktoren von chemischen Rührkesseln hauptsächlich in der Sensorik und dem Rührwerksaufbau. Bei Fermentationen ist es meist notwendig Sauerstoff in das Medium einzutragen, da mit lebenden Zellen gearbeitet wird die Sauerstoff verbrauchen (Aerob).

Pilz-Fermentation. Welches Tier ist hier zu sehen (rein symbolisch) ?  Video Stefan Dörsam

Neben dem Gaseintrag bestehen oft auch unterschiede im Temperaturbereich der für die Fermentation angestrebt wird. Teilweise ist es von Interesse bei großvolumigen Fermentationen sogar Wärme abzuführen, was für die Energiebilanz von Vorteil sein kann. Enzyme oder Enzym-Extrakte können dagegen in koventionelle Rührkesselreaktoren gegeben werden, jedoch ist oftmals für die Wirtschaftlichkeit des Prozesses notwendig, dass Enzym zu immobilisieren oder zurückzugewinnen. Eine Lösung dieses Problems sind Beispielsweise Enzym-Membranreaktoren.

Generell gilt es in der Biosynthese abzuwägen, wann es sinnvoll erscheint ganze lebende Zellen zu verwenden, Zellextrakte oder aufgereinigte  Enzyme.  Mikroorganismen haben den Nachteil, dass diese eine Vielzahl an Nebenreaktionen ausführen können. Zudem können zu meist nicht in organischen Lösungsmitteln als lebende Katalysatoren eingesetzt werden, was für viele nur im organischen lösbare Substanzen von Nachteil ist. Im Fall der beiden organischen Säuren Malat und Zitronensäure (aus den genannten Beispielen) spielt die Löslichkeit jedoch keine Rolle, denn diese beiden Substanzen sind überaus gut löslich im Wasser. Auch ist die Aufarbeitung aus wässrigen Fermentationsansätzen wesentlich energieaufwendiger als aus leichtverdampfbaren organischen Lösungsmitteln. Dagegen können Enzyme auch im organischen Lösungsmittel ihre Aktivität behalten und eine Ergänzung zur Möglichkeit der Ganzzellbiokatalyse sein. Die klassischen, metallisch, chemischen Katalysatoren sind häufig in vielen Lösungsmitteln aktiv.  Die Temperatur kann im Gegensatz zu einem Biokatalysator meist sehr weit gesteigert werden,  was bei vielen Reaktionen aufgrund der RGT-Regel von Vorteil sein kann.

Zusammengefasst lässt sich somit sagen, Pilze im speziellen und allgemein ganze Mikroorganismen können komplexe chemische Reaktionen katalysieren und ermöglichen die Synthese in meist wässrigen Systemen. Pilze sind dabei besonders interessant, da sie lebende Enzym-Schatztruhen sind, die sogar teilweise die wertvollen Biokatalysatoren in ihre Umgebung abgeben.  Sie erschließen Kohlenstoffquellen die eine alternative zur traditionellen Erdöl basierten Chemie darstellen können. Außerdem können Biotransformationen helfen giftige Abfälle zu minimieren, Energie einzusparen und Stoffkreisläufe zu schließen. Somit können Mikroorganismen und Enzyme helfen die wesentlichen Kriterien für eine als „Grün“ (umweltfreundliche) geltende Chemie zuerfüllen. Wer jetzt noch nicht genug über Pilze in der Biotechnologie gelesen hat, der sollte sich die Dokumentation auf 3Sat ansehen.

Wer nach diesem Bericht noch immer nicht genug von Pilzen hat, für den ist vielleicht auch ein Anzug mit Pilzsporen etwas für seine Beerdigung. Er verspricht den Körper wieder in den Stoffkreislauf einzuführen und dabei sogar Giftstoffe aus dem Körper aufzunehmen.  Nachhaltiger kann man wahrscheinlich nicht aus dieser Welt treten ?